Die zerbrechliche Demokratie

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In der Schweiz wird der zentrale Punkt der Corona-Leaks übersehen: Sie sind kein Fall von business as usual zwischen Presse und Politik, der zu weit ging. Sie bringen uns zu einer Zeit extremer Fragilität der pandemischen Demokratie zurück.

Dies ist der einzige Aspekt, den es zu beachten, zu lesen, zu analysieren und zu einer ernsthaften Schlussfolgerung zu führen gilt: Wenn die Pipeline von hochvertraulichen Informationen zwischen dem ehemaligen Sprecher des Eidgenössischen Departements des Innern, Peter Lauener, und dem CEO der Ringier-Verlagsgruppe, Marc Walder, während der Pandemie tatsächlich zum Einsatz kam, ist dies nur angesichts des folgenden Umstandes als skandalös zu bezeichnen: Während der Pandemiezeit war die Schweiz eine sehr fragile Demokratie, nicht unähnlich (wenn auch in mancher Hinsicht weniger radikal) dem, was in anderen Ländern Europas und der Welt geschah.

In einer liberalen Gesellschaft wie der unsrigen ist diese Fragilität entstanden durch die Suspendierung der Funktion der Parlamente (Bund und Kantone), den Ausnahmezustand, den Lockdown, die mediale Überbelichtung von Gesundheitsexperten, die Regeln für den Zugang zu öffentlichen und privaten Orten und nicht zuletzt durch eine Haltung der Massenmedien, die durch den Verzicht auf ihre (grundlegende) Funktion als Garanten der demokratischen Debatte geprägt war. Auch in Krisenzeiten, ja besonders in Kriesenzeiten sollte diese Funktion gelten.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hatte die Presse im Gegenteil beschlossen, dass es im Falle einer Pandemie unverzichtbar sei, sich zum Sprachrohr der Regierung und der Gesundheitsbehörden zu machen, auf eine kritische Haltung zu verzichten und das Fragezeichen von der Computertastatur in den Redaktionen zu streichen (ersetzt durch das Aufrufezeichen) und sich im Wesentlichen der Linie der Bundesregierung anzupassen, wenn nicht sogar eine radikalere Linie zu fordern.

Die Corona-Leaks sind nur ein Beleg dafür, wie sehr die Presse die privilegierten Beziehungen zur Politik ausgenutzt hat, um eine redaktionelle Linie zu zementieren, die oft a priori angenommen oder zumindest im Laufe der Zeit mitgetragen wurde.

Dies führte zu einer Verbannung der widersprüchlichen Stimmen und Überlegungen, die zwar von kritischem Denken geprägt waren, aber auch vom Respekt vor den Meinungen anderer und von dem Gedanken, dass nur eine gemeinsame Anstrengung (die allerdings auch von den vernünftigen, heterodoxen Ideen Einzelner genährt wurde) die Überwindung der Epidemie und gleichzeitig eine demokratische Bereicherung ermöglichen würde.

Aber nein, es ist nicht passiert: selbst die Stimme derjenigen, die höflich, aber auch entschlossen forderten, gehört zu werden, wurde auf den Müllhaufen der Halluzinierten, der Verschwörungstheoretiker, der Leugner, der No-Vaxer und so weiter geworfen.

Hier liegt der Grund für den Corona-Leaks-Skandal: darin, dass Politik und Presse geglaubt haben, während der Pandemiezeit auf der Grundlage von Whistleblowing, vertraulichen Hinweisen und Vorzugsbeziehungen nicht nur wie gewohnt, sondern auch – und das ist der heikle Punkt – unkritischrer als je zuvor, ja sogar mit apodiktischem Anspruch weitermachen zu können.

Diese Beziehungen funktionieren nur dann gut, wenn die Demokratie stark ist.

Sie sind jedoch ein Akt der Gewalt gegen die Demokratie selbst, wenn letztere anfällig ist. Das war während der Pandemiekrise der Fall.

(gianluca grossi)

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La democrazia fragile